Projekt Beschreibung

Mann Gras Text marlene-erhart.at

Als Synonym für Allergien werden Pollen gerne zum kollektiven Feindbild hochstilisiert. Dass Österreichs Forscher im Kampf gegen juckende Augen und rinnende Nasen weltweit als Pioniere gelten, bleibt dabei ebenso auf der Strecke wie die verborgene Schönheit des Blütenstaubes. Mit fantastischen Strukturen und Formen gleicht jedes Pollenkorn einem Kunst werk von unschätzbarem Wert. Denn: Ohne Pollen keine Allergien – aber auch kein Leben.

Sachte baumeln die leuchtend gelben Kätzchen der Hasel im Frühlingshauch. Gerade erholen sie sich vom letzten Regenguss, der eine dicke Schicht Blütenstaub in Pfützen und Teiche gespült hat. Dass die gelben Schlieren aus einer Ansammlung zerbrechlicher Kunstwerke bestehen, bleibt dem bloßen Auge verborgen. Erst unter dem Rasterelektronenmikroskop offenbart der Blütenstaub jenen faszinierenden Anblick, der die Biologin Maria Anna Pabst fesselt. Stacheln und Waben tauchen auf, Schnüre und netzartige Strukturen nehmen unter der Linse Gestalt an: Es ist der Blick auf die Exine, die äußere Schicht des Pollenkorns.

Begeistert von der Schönheit des Mikrokosmos, druckte Pabst elektronenmikroskopische Bilder von Pollen auf Leinwand und kolorierte sie mit Tusche nach. Selbst die beeindruckende Optik lässt viele Bewunderer ihrer Werke aber nicht über einen Aspekt des Themas hinwegsehen, bedauert Pabst. „Wenn ich von Pollen erzähle, werde ich sofort auf Allergien angesprochen“, schildert sie. In der Diskussion um Allergene (jene Stoffe, die Allergien provozieren) geht der Wert des Pollen für Natur und Mensch ebenso unter wie ihr Stellenwert für die Wissenschaft.

Da jedes der filigranen Gebilde ein Unikat mit einzigartiger Architektur ist, können Biologen eine Pflanze anhand eines Pollenkorns identifizieren, ohne das dazugehörige Gewächs gesehen zu haben. Archäologen schließen von fossilen Pollenfunden auf die Vegetation der Urzeit, während Pollenkörner im Darm von Mumien – etwa dem 5300 Jahre alten Ötzi – die Ernährungsgewohnheiten längst verblasster Kulturen enthüllen. Neben Antworten auf brennende Fragen der Wissenschaft tragen Pollen als Pendant zu menschlichen Spermien die Erbinformation des jeweiligen Gewächses in sich. Aus den mikroskopischen Todessternen und Wollknäueln entstehen im Lauf ihres Lebenszyklus Äpfel, Kürbisse, Kräuter und farbenfrohe Wiesen- und Wasserpflanzen.

Reger Luftverkehr

Pollen reifen in den Staubblättern, den männlichen Sexualorganen einer Blüte. Dort sitzt am oberen Ende eines dünnen Staubfadens der runde oder ovale Staubbeutel. In seinem Inneren findet man üblicherweise vier Pollensäcke – die Produktionsstätten botanischer Mannes- kraft. Speziell entwickelte Pollenmutterzellen bilden dort reife, befruchtungsfähige Pollenkörner aus.

An warmen, windigen Sonnentagen schwirren Abermillionen Pollenkörner durch die Lüfte und bescheren jedem siebten Österreicher juckende Augen und einen erhöhten Taschentuchverbrauch. Gut 15 Prozent der Bevölkerung leiden an Allergischer Rhinitis, also an Heuschnupfen. Dabei stuft der Organismus an sich harmlose Stoffe als Bedrohung ein und bekämpft die vermeintliche Gefahr mit der gleichen Abwehrreaktion, die Erreger wie Bakterien und Viren unschädlich macht. Gleichzeitig bildet das Immunsystem eine Art Erinnerung an den Feind und die dazugehörige Abwehrreaktion, die sich ab diesem Zeitpunkt bei jedem Allergenkontakt wiederholt.

Was die Immunabwehr so vehement bekämpft, sind jene kleinen Eiweißbausteine (Peptide), die das Leben und Überleben von Pflanzen sichern. Bedenkt man den regen Luftverkehr im Frühjahr, grenzt es an ein Wunder, dass ein Pollenkorn das passende weibliche Pendant findet. Hier kommen die Proteine an der Oberfläche des Pollen ins Spiel, die als individueller Erkennungscode den Zugang zum weiblichen Blütenteil, der Narbe, garantieren. Stimmt die genetische Codierung nicht überein, weist diese Andockstelle unpassende Ankömmlinge ab. Andernfalls bleibt das Pollenkorn an dem klebrigen Fortsatz haften – woraufhin seine kunstvolle Struktur ihren lebenspendenden Charakter enthüllt. Was auf Mikroaufnahmen wie kleine Warzen anmutet, bezeichnen Botaniker als Keimporen, bei länglichen, dornenförmigen Ausformungen ist die Rede von Keimfalten. Aus beiden Varianten der Keimöffnung treibt ein Pollenschlauch aus, der zur Samenanlage der Blüte wächst und dort lagernde Eizellen befruchtet.

Außer Kontrolle

Sobald die ersten Bäume blühen, erlebt Fritz Horak, Leiter des Allergiezentrums Wien West, einen wahren Ansturm von Patienten.Bis zu 150 niesende und schnupfende Menschen gehen Tag für Tag im Institut ein und aus. Unbehandelt wächst sich Heuschnupfen bei 40 Prozent der Patienten zu Asthma bronchiale aus, warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Bei diesem irreversiblen „Etagenwechsel“ breitet sich die Entzündung der Schleimhäute auf die tieferen Atemwege aus, das Lungengewebe verändert sich und die Lungenfunktion lässt eklatant nach. „Dennoch werden Allergien verharmlost und stillschweigend als Volkserkrankung hingenommen“, ärgert sich Horak. Und das, obwohl die Zahl der Allergiker steigt: Das Global Allergy and Asthma Network erwartet für heuer, dass jeder zweite Europäer an einer Allergie leidet.

„Wir haben die Situation nicht unter Kontrolle, da wir die Faktoren, die zur Zunahme von Allergien führen, nicht vollständig verstehen“, sagt Fatima Ferreira, Vizerektorin der Universität Salzburg und eine Koryphäe in der Allergieforschung. Lassen sich die Ursachen auch nicht genau benennen, tippen viele Experten auf den westlichen Lebensstil. Eine Vergleichsstudie zwischen Ost- und Westdeutschland zeigt warum: Vor dem Fall der Berliner Mauer gab es in Westdeutschland mehr Allergiker als in Ostdeutschland, schon wenige Jahre nach der Wiedervereinigung glichen sich die Zahlen in der ehemaligen DDR an. „Wahrscheinlich sind die Änderung des Lebensstils, die Ernährung, aber auch veränderte Umwelteinflüsse verantwortlich“, meint Horak, „aber genau weiß man das nicht.“

Erhöhtes Aggressionspotential

Sucht die Forschung noch nach Antworten, zeichnet sich der nächste, beunruhigende Trend ab: Das allergene Potenzial einzelner Pollenkörner nimmt drastisch zu. In Ballungszentren und Beckenlagen, wo die Luftqualität schlechter ist und Smog und Schmutz aufeinandertreffen, zeigen sich stärkere Allergiesymptome. Einerseits schwächen die Umweltgifte das Immunsystem, und Allergene haben es bei lädierter Schleimhaut leichter, in den Körper einzudringen. Andererseits haften Partikel von Dieselabgasen, chemische Schadstoffe und Feinstaub am Pollenkorn und verstärken die allergene Wirkung. „Manche Allergene werden aggressiver, da sich Pflanzen an eine verschmutzte Welt voller neuartiger Giftstoffe anpassen, um zu überleben“, erklärt Fatima Ferreira.

Blick in die Glaskugel

Damit sie den Frühling glimpflich überstehen, tragen über 45.000 Österreicher ihre Beschwerden in ein elektronisches Tagebuch ein – das Pollen-Tagebuch des Österreichischen Pollenwarndienstes, dem damit der Brückenschlag zwischen Service und Forschung gelang.

„Unser Ziel ist es, Allergiker mit möglichst genauen Prognosen für die kommende Pollenbelastung zu wappnen“, erklärt Uwe Berger, Leiter der Forschungsgruppe Aerobiologie und Polleninformation am Wiener AKH. Dazu werten er und sein Team in Wien Daten von bis zu 500 Pollenmessstationen in ganz Europa aus und kooperieren mit Medizinern, Meteorologen sowie Biologen aus 15 Ländern. Ihr besonderes Interesse gilt Messwerten aus Österreichs Nachbarländern, denn „wenn wir den Pollenflug aus den angrenzenden Regionen kennen, können wir prognostizieren, wie sich die folgenden Tage bei uns gestalten“, begründet Berger. „Weltweit verfügt niemand über ein derartiges Datenarchiv und bei uns verschwindet nichts ungenutzt in der Schublade“, sagt Berger nicht ohne Stolz. 2013 präsentierte der Österreichische Pollenwarndienst ein besonderes Novum: die personalisierte Polleninformation. Weltweit einzigartig basiert das System auf innovativen Prognosemodellen und errechnet die persönliche Belastung in Echtzeit.

Injizierte Abhärtung

Um eine Allergie an der Wurzel zu packen und Asthma vorzubeugen, führt kein Weg an der Immuntherapie vorbei. Bis dato verläuft die Behandlung nach dem gleichen Prinzip wie zur Stunde ihrer Entdeckung. 1911 kurierten die Physiker Leonard Noon und John Freeman mit der wiederholten Injektion von Gräserpollen Patienten erfolgreich von Heuschnupfen. Irgendwann lösen die Allergene keine überschießende Reaktion des Immunsystems mehr aus.

Derzeit entscheiden sich etwa zehn Prozent der Betroffenen für die drei Jahre dauernde Behandlung, bei der während der ersten zwei Monate wöchentliche Impfungen auf dem Programm stehen. Trotz hervorragender Ergebnisse und verbesserter Verträglichkeit halten wenige Menschen bis zum Schluss durch, bedauert Allergologe Fritz Horak: „Bei Pollenallergien liegt die Erfolgsrate der Impfung bei 60 bis 80 Prozent, aber über die Hälfte der Patienten springt frühzeitig ab.“ Neue Immuntherapien müssen vier Monate vor der Saison gespritzt werden, dann haben die Betroffenen den Rest des Jahres ihre Ruhe, so Horak. „Das kann insofern problematisch sein, als manche Patienten im Folgejahr vergessen, die Therapie wieder zu beginnen.“ Doch schon wird fieberhaft an einer neuen Impfung gearbeitet, die nur noch drei Mal injiziert werden muss. Es mag bisweilen Zukunftsmusik sein, doch die österreichische Forschung spielt die erste Geige.

Die Birken-Impfung

Basis des neuartigen Impfstoffs ist das weltweit erste rekombinante Allergen, das Fatima Ferreira gemeinsam mit Kollegen, darunter der international führende Allergieforscher Rudolf Valenta am AKH Wien, entwickelte. Es handelt sich um ein gentechnisch hergestelltes Allergen des Birkenpollen, das keine Verunreinigungen mit anderen Stoffen aufweist. Bevor das synthetische Allergen nach 2002 auf den Markt kam, verwendeten Mediziner für Allergietests natürliche Extrakte, etwa Moleküle von Birkenpollen, die ein Potpourri allergener und nicht-allergener Eiweißbausteine enthielten. Eine positive Reaktion im Hauttest bestätigte lediglich eine Sensibilisierung gegen eines der enthaltenen Proteine – gegen welches blieb unklar. Ferreiras Pionierleistung machte nicht nur die Diagnose genauer, sondern erleichterte auch die Wahl der geeigneten Therapie.

„Der Erfolg mit der Birke hat eine wahre Lawine ausgelöst, weltweit gab es danach Forschungen in diese Richtung“, freut sich Ferreira. Heute sind mehr als hundert rekombinante Allergene in Allergiezentren und Arztpraxen im Einsatz. Und die Wissenschaftlerin des Jahres 2008 tüftelt heftig am nächsten Durchbruch: einem neuartigen Impfstoff, der das synthetische Birkenallergen BM4 mit dem entzündungshemmenden Vitamin D3 kombiniert. Letzteres dient als sogenanntes Adjuvans, ein Hilfsstoff, der die richtige Botschaft an das Immunsystem sendet. „Diese Bestandteile erklären dem Organismus, dass er auf die harmlosen Substanzen nicht überreagieren soll, und programmieren die Immunabwehr neu“, so Ferreira. Läuft alles gut, rechnet sie damit, dass die Impfung in sechs Jahren den ersten Heuschnupfengeplagten Linderung verschafft.

Erschienen im Universum Magazin, Mai 2015
Mann Gras Text marlene-erhart.at
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