Projekt Beschreibung

Waldbrände verwandeln ganze Landstriche in rauchendes Ödland. Was dem Menschen als ultimative Katastrophe gilt, stellt für die Natur hingegen seit Jahrtausenden eine unverzichtbare Verjüngungskur dar. Der Klimawandel könnte diese Quelle neuen Lebens jedoch zu einer existenziellen Bedrohung für Wälder weltweit verkehren, befürchten Forscher.
Drei Millionen Menschen pilgern jedes Jahr in den Nordosten Kaliforniens. Ihr Ziel ist eines der populärsten Naturwunder der Welt: der Yosemite-Nationalpark, bekannt für seine Felsformationen, Wasserfälle und nicht zuletzt die größten Bäume der Welt. Einige der Riesenmammutbäume (Sequoiadendron giganteum) wuchsen hier bereits, als die ägyptischen Pyramiden erbaut wurden. Die Bäume sind ohne Frage eine Reise wert. Doch auf dem Weg durch den mehr als 3000 Quadratkilometer großen Nationalpark bietet sich streckenweise ein erschreckendes Bild der Verwüstung: Anstatt auf atemberaubende Natur fällt der Blick auf post-apokalyptisch wirkende Aschefelder, durchsetzt von verkohlten Baum-Gerippen. Der Anblick ist dermaßen trostlos, dass sich umgehend eine Frage aufdrängt: Warum haben Parkverwaltung und Feuerwehr diese Zerstörung zugelassen? Die Antwort liegt – zumindest für Ökologen – auf der Hand: ohne Feuer kein neues Leben.
Kein Feuer ist auch keine Lösung
Was geschieht, wenn Waldbrände rigoros im Keim erstickt werden, hat sich in den USA in den 1950er-Jahren offenbart. Bis dahin hatten die zuständigen Behörden große Mühen unternommen, die gefürchteten „wildfires“ in Nationalparks auf ein Minimum zu reduzieren. Forstwissenschaftler bemerkten jedoch, dass sich die Bestände gewisser Gewächse – darunter auch die Riesenmammutbäume – nicht mehr verjüngten. Irgendetwas schien die Giganten der Fähigkeiten beraubt zu haben, neue Generationen von Sequoiadendron giganteum hervorzubringen. In einer Reihe aufsehenerregender Experimente entfachte Richard J. Hartesveldt, Professor am San Jose State College, kleine, kontrollierte Waldbrände im Yosemite-Nationalpark (Mariposa Grove). „Das Feuer muss in die Ökosysteme der Mammutbäume zurückgebracht werden“, lautete die zentralste Schlussfolgerung.
Denn es zeigte sich, dass sich die Zapfen der Riesenmammutbäume erst durch die aufsteigende Hitze einer Feuersbrunst öffnen und die Samen freigeben. Sie fallen auf den durch mineralreiche Asche gedüngten Boden, sinken ein und beginnen zu keimen. Auch ihre bereits hochgewachsenen Verwandten profitieren von Waldbränden, die weniger feuerfeste Pflanzen vernichten und den größten Lebewesen der Erde ausreichend Platz und Licht verschaffen. Die regelmäßig auftretenden Bodenfeuer in den Koniferenwäldern Nordamerikas haben zudem eine regulierende Funktion: Je öfter sie ungehindert brennen können, desto weniger abgestorbene pflanzliche Biomasse sammelt sich am Waldboden an und desto geringer ist die Intensität von Bränden. Werden die Feuer für längere Zeit unterdrückt, häufen sich große Mengen an Brennmaterial an – Bodenfeuer können dann auch auf die Baumkronen übergreifen und eine wesentlich verheerendere Wirkung ausüben.
Hartgesottene Freunde des Feuers
Für viele Ökosysteme sind Waldbrände ein (oft unersetzlicher) erneuernder Faktor und Teil der natürlichen Kreisläufe, die die biologische Vielfalt sichern. Die Flammen dünnen das Unterholz aus und schaffen lichte und sonnige Nischen, die von besonders angepassten Arten oder konkurrenzschwachen Pionierpflanzen besiedelt werden. Es entstehen unterschiedlich alte Pflanzengesellschaften, und die folgende Baumgeneration wird durch die Asche mit frischen Nährstoffen versorgt. Durch das Abbrennen von Totholz stehen mineralische Nährstoffe wieder zur Verfügung, was besonders in trockenen Klimazonen wichtig ist, da der Abbau von organischem Material hier langsamer verläuft als in feucht-heißen Regionen. Zudem wird nach einem Feuer das Sprießen der Wurzeltriebe angeregt.
Eine Reihe von Pflanzen, nicht nur die nordamerikanischen Mammutbäume, benötigen die zerstörerische Kraft dieses Elements unbedingt für ihren Fortbestand. In der Fachsprache werden diese Gewächse „Pyrophyten“ genannt, meist gedeihen sie in Gebieten wie Trockenwäldern, Savannen oder Steppen, in denen natürliche Feuer regelmäßig auftreten. Die Anpassungsstrategien von Pflanzen sind dabei so vielfältig wie die Waldgemeinschaften, die rund um den Globus wachsen. Bei manchen Kiefernarten (und Mammutbäumen) etwa schützt die dicke Borke das empfindliche Gewebe im Inneren (das sogenannte Kambium, in dem sich auch die teilungsaktiven Zellen befinden) vor den letalen Temperaturen eines Großfeuers. Portugiesische Korkeichen, einige Palmen der afrikanischen Savanne sowie Eukalyptusbäume sind gänzlich feuerresistent. Dem australischen Eukalyptus hilft dabei eine feuerleitende Oberfläche, lediglich seine Borke und die Blätter werden Raub der Flammen.
Nach Angaben des World Wildlife Funds (WWF) ist weltweit knapp die Hälfte aller Ökosysteme von Feuer abhängig oder beeinflusst. Charakteristisch für all diese Gebiete ist die Widerstandsfähigkeit von Flora und Fauna gegenüber Waldbränden – allerdings nur, wenn die Waldbrände innerhalb der von natürlichen Faktoren vorgegebenen Grenzen bleiben. Einflussgrößen wie der Klimawandel verschieben diese Grenzen jedoch zusehends, so der WWF.
Naturgewalten im (Klima-)Wandel
Zu diesem Schluss kam auch eine unlängst veröffentlichte Studie der University of Montana, in deren Mittelpunkt die Regenerationsfähigkeit von Wäldern nach verheerenden Waldbränden stand. Wie die Wissenschaftler herausfanden, erholten sich Waldgemeinschaften in tieferen Lagen bis in die 1990er-Jahre problemlos von aufgetretenen Feuern. In der Zeit zwischen den frühen 1990ern und dem Jahr 2015 bemerkten die Forscher aber einen markanten Bruch: Die Fähigkeit der Wälder, sich nach Waldbränden zu erholen und zu verjüngen, nahm rapide und dramatisch ab. Was war geschehen?
Die Untersuchung von rund 3000 jungen Bäumen von 90 Brandflächen im Westen der USA brachte Klarheit: Der Klimawandel hat die Feuchtigkeit in den oberen Bodenschichten sowie deren Oberflächentemperatur extrem verändert. Unter diesen neuen Bedingungen wird das Wachstum junger Bäume nach einem Feuer nicht mehr befördert, sondern verhindert. Die Wurzeln der aufkeimenden Triebe reichen nicht tief genug, um unter diesen veränderten Gegebenheiten das Grundwasser zu erreichen. „Die daraus folgenden Veränderungen der Landschaft werden sich nicht graduell über die nächsten Jahrzehnte zeigen, sondern rasch geschehen“, warnt Studienleiter Solomon Dobrowski. Zwar wurden die Untersuchungen an Douglasien und Ponderosa-Kiefern vorgenommen, dennoch seien die Ergebnisse auch auf ähnliche Waldgemeinschaften weltweit umlegbar, so Dobrowski. Eine mögliche Lösung des Problems sehen er und sein Team darin, auf abgebrannten Flächen zwei- bis dreijährige Jungbäume zu setzen, die das Grundwasser mit ihren tiefer reichenden Wurzeln erschließen können. Doch diese Methode kostet viel Geld und Zeit.
Brandgefährlich in den Alpen
In Europa ist der Mittelmeer-Raum bereits heute mit Abstand am stärksten von Waldbränden betroffen, wie zuletzt das Beispiel der griechischen Region Attika im Sommer 2018 auf tragische Weise vor Augen führte. Bei den verheerenden Bränden, die eine Fläche von 68 Quadratkilometern zerstörten, starben 100 Menschen, weitere 170 wurden teils schwer verletzt. Auf Besserung der Situation dürfte nicht zu hoffen sein, wie eine im Oktober 2018 veröffentlichte Studie nahelegt. Wissenschaftler um Marco Turco (University of Barcelona) berechneten in verschiedenen Modellen, wie stark Waldbrände bei einer Klimaerwärmung von 1,5 Grad, zwei Grad und drei Grad Celsius zunehmen könnten. Als Basis dienten einerseits Daten registrierter Brände und andererseits Informationen über aufgetretene Sommerdürren aus den Jahren 1985 bis 2011. Die Berechnungen schließen Portugal, Spanien, Frankreichs Mittelmeerküste sowie Italien und Griechenland ein – und lieferten erschreckende Ergebnisse: Bei einer Erwärmung um 1,5 Grad könnten Waldbrände in der gesamten Region um 40 Prozent zunehmen, bei einer Erwärmung um drei Grad könnte die Feuerwahrscheinlichkeit (insbesondere in Nordspanien) sogar um bis zu 250 Prozent anwachsen.
Auch im Alpenraum ist es der Klimawandel, der das natürliche Gleichgewicht zwischen Zerstörung und Erneuerung aus der Balance zu bringen droht. „Verglichen mit Mediterrangebieten, Savannen oder borealen Zonen sind die Wälder des Alpenraumes als ein nur gering feueranfälliges Ökosystem einzustufen“, heißt es im Österreichischen Sachstandsbericht zum Klimawandel. Doch Waldbrände werden maßgeblich durch Temperatur und Niederschlag gesteuert – und beide Faktoren werden sich, bedingt durch den Klimawandel, in den kommenden Dekaden merklich verändern. Die aktuellen Erwärmungstendenzen könnten die Feueranfälligkeit heimischer Wälder bedeutend steigern, heißt es in dem Bericht. Der Ruf nach einer Abkehr von brandanfälligen Monokulturen – zu denen etwa auch Fichtenforste zählen – wird seitens des WWF immer lauter. Und auch hierzulande wird es für Wälder schwieriger, sich von Feuern zu erholen.
Ein großes Risiko erwächst durch den Klimawandel für die Baumbestände alpiner Regionen, die aufgrund ihrer speziellen Lage einige Besonderheiten aufweisen. So ist die Gefahr langfristiger Degeneration auf Kalkstein besonders groß, da hier Böden mit hohem organischen Anteil durch Brände komplett zerstört werden können, wie eine Untersuchung in den Tiroler Kalkalpen zeigte. Auf diesen kahlen Flächen sind sowohl die Intensität als auch der Einfluss weiterer Naturgefahren extrem verstärkt: Jede ins Tal donnernde Lawine, jede Mure oder jeder Steinschlag erschwert die Regeneration der Vegetation – die oft von den Schnee- oder Erdmassen regelrecht weggefegt wird.
In ungünstigen Lagen kann es für die ursprüngliche Natur somit Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte dauern, um sich von all den Schäden zu erholen. Angesichts dieser Zeitspannen wiegt die verloren gegangene Schutzfunktion durch Wälder gegenüber Lawinen, Steinschlag oder Hochwasser besonders schwer.
Erschienen im Universum Magazin, Juli 2019
